Eine "Grenzgänger-Exkursion" verspricht Friedemann Friz, Revierförster in Vordersteinenberg, den gut 20 Mitwanderern bei dieser samstäglichen SDW-Veranstaltung, "und eine Zeitreise, um zu verstehen, warum unsere Wälder aussehen wie sie aussehen und welche Rolle die Mühlen für die Menschen einst gespielt haben."
Eigentlich war es eher ein Versehen, dass dieses Tal bei der Gemeindereform 1974 in den Rems-Murr-Kreis "gerutscht" war, denn die Bevölkerung fühlte sich eigentlich zum katholischen Schwäbisch Gmünd (heute Ostalbkreis) viel eher zugehörig als zum evangelisch-pietistisch geprägten Umland. Aber dieses Grenzgänger-Dasein zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte: Zu Römerzeiten war der Schwäbische Wald eine undurchdringliche Wildnis, mit der eigentlich niemand wirklich etwas anfangen konnte. Im Mittelalter war er "Wildbann" des Adelsgeschlechts der Staufer. Um diese Gegend besser unter Kontrolle zu bekommen, förderten die Staufer die Ansiedlung treuer Bauern und die Landwirtschaft auf gerodeten Siedlungsflächen.
Da sie fernab der damaligen Metropolen, Lorch oder der Reichsstädte Schwäbisch Gmünd und Schwäbisch Hall lebten, entwickelten sie ein starkes bäuerliches Selbstbewußtsein, das der Überlieferung zufolge im so genannten "Siebzehner-Gericht" gipfelte, einer bäuerlichen Gerichtsbarkeit von 17 Bauernhöfen, die sonst eigentlich streng dem Adel vorbehalten war. Da dieser bäuerliche Menschenschlag als "furchtlos, fleißig und treu" galt, gab es mit der Obrigkeit kein Problem.
Am Beispiel des bestens arrondierten land- und forstwirtschaftlichen Hofes "Hafental" wird die bäuerliche Besiedelungsform anschaulich.
Da die Holznutzung eine wesentliche Einnahmequelle der Bauernhöfe war, betrieben meist mehrere Bauernhöfe gemeinschaftlich eine Sägemühle für den eigenen Bedarf, aber auch für den Verkauf von Balken und Brettern. Vor allem außerhalb der landwirtschaftlichen Periode von Mitte Oktober bis Mitte April wurde Holz eingeschlagen und gesägt. Dazu wurde von den Bauern oft ein Säge-Knecht angestellt. Die Sägetage wurden für jeden Bauernhof eingeteilt.
Mit dieser geschichtlichen Hintergrund-Information heißt es für die Teilnehmer/innen nun, in das feuchte Bachtal hinabzusteigen, in der die bereits 1265 urkundlich erwähnte Reichenbach-Sägemühle gestanden hatte. Die Kopie einer alten Flurkarte, auf der der Mühlteich (um das Wasser für den Betrieb des Mühlrads zu stauen) und die Gebäude eingezeichnet sind, helfen dabei, sich vorstellen zu können, wie die Sägemühle damals ausgesehen haben könnte.
Auffällig ist, dass neben dem Mühlengebäude auch ein Wohngebäude auf der Karte eingezeichnet ist. "Das bedeutet, dass der Sägemüller das ganze Winterhalbjahr über in diesem kalten und für heutige Begriffe doch ziemlich unwirtlichen schmalen Tal leben musste," so der Revierförster. " es muss ein hartes Dasein im Wald damals gewesen sein."
Hinzu kam, dass damals in einem Tal oft mehrere Mühlen hintereinander die Wasserkraft nutzten. Wenn es nun einem Oberlieger einfiel, abends noch den Schieber zu öffnen, um seine Säge in Betrieb zu setzen, bedeutete das für den Unterlieger, dass dieser es - nun aber bereits mitten in der Nacht - seine Sägemühle ebenfalls in Betrieb setzten musste, denn Wasser war jedenfalls in diesen kleinen Bachtälern ein knappes Gut.
Szenenwechsel: Auf dem Weg zur Ölmühle talabwärts macht der Revierförster und passionierte Tannen-Freund Friz halt und erweitert das Geschichtsbild um die Waldgeschichte in dieser Raumschaft: "Nach wissenschaftlichen Untersuchungen mit Pollenanalysen bestand der natürliche Wald von einst aus Tannen und Buchen. Im bäuerlichen Wald ist diese Baumartenmischung durch eine femelartige Nutzung noch weitgehend erhalten." Dies bedeutet, dass nur die stärksten Stämme einzeln entnommen worden sind, wodurch die natürliche Verjüngung darunter Licht zum Wachsen erhält. Im Gegensatz dazu ist im Oberamtsbericht von 1845 beschrieben, dass damals in sämtlichen Staatswaldungen die Hochwaldwirtschaft eingeführt worden sei. Dies bedeutet, dass Wald (meist die gerad- und raschwüchsige Fichte) zu einem Zeitpunkt gepflanzt und zu einem Zeitpunkt meist im Kahlschlag geerntet worden ist. Das ist aus arbeitstechnischer Sicht nachvollziehbar, denn im Unterschied zum bäuerlichen Betrieb kam es im Staatswald vor allem auf eine betriebswirtschaftlich effiziente Bewirtschaftung an. "Heute aber wissen wir, dass die rein ökonomische Sichtweise nicht auch zu ökologisch stabilen Wäldern führt. Die Fichte im Reinbestand ist vielseitig gefährdet durch Sturm und Käferbefall und daher labil", ist der Revierförster überzeugt.
Eine weitere Station dieses vormittäglichen Spaziergangs ist die Ölmühle. Hier wurde Wasser über einen von Hand gegrabenen Mühlkanal zum Antrieb des Mühlrads geleitet. "Der Not gehorchend, wurde hier aus allem Möglichen wertvolles Öl gepresst, unter anderem sogar auch aus Bucheckern und Tannensamen."
In einem Seitentälchen stand einst die Vordersteinberger Sägmühle. Da die Seitengewässer so unergiebig waren, musste - im Unterschied zu den größeren Bachtälern, kein Wasserrecht beachtet werden und damit auch keine Genehmigung eingeholt werden. Allerdings musste eigens ein kleines Seitental aufgestaut werden, um überhaupt genügend Wasserkraft für den fallweisen Sägebetrieb zu bekommen.
Als naturkundliches Kleinod präsentiert Friedemann Friz zum Schluss schmunzelnd den "Vordersteinberger Wasserfall": "An Größe ist er mit den Niagarafällen sicherlich nicht zu messen, an Schönheit aber auf jeden Fall".