Mit dem Förster im Wald

Waldbau im Spannungsfeld der gesellschaftlichen Ansprüche

Alle Erfahrung seines langen aktiven Försterlebens packt Forstdirektor a.D. Helm-Eckart Hink in den Waldspaziergang auf dem Eschelberg vor gut 30 Wald-Interessierten an diesen Nachmittag, dem Tag des Schwäbischen Waldes 2018, zu dem die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald - Kreisverband Rems-Murr und der Schwäbische Albverein - Ortsgruppe Backnang eingeladen haben.

 Die Ausgangsfrage hätte lauten können: "Warum ist der Forstberuf einer der schönsten auf Erden?" Sie hätte aber auch lauten können; "Warum ist das Försterdasein eines der schwersten?" Für beide Fragen hätte Eckart Hink an diesem sonnig-warmen Sonntag-Nachmittag glaubhaft Pate stehen können.

Die erste Frage der beiden Fragen beantwortet der Forstdirektor im Ruhestand bereits durch seine lebhafte Gestik und Mimik. Aus jedem seiner Sätze fließt die Begeisterung eines Mannes, der die Schönheit des Waldes kennt und seinen unschätzbarten Wert anderen gerne vermittelt. Die Antwort auf die zweite Frage bekommen die Waldbesucher häppchenweise, an Waldbildern, die sein profundes Wissen eines anschaulich machen: Der Wald ist keine einsame Erholungsinsel für Förster, sondern soll viele widersprüchliche gesellschaftlichen Ansprüche gleichzeitig erfüllen: Einerseits soll er "unberührte Natur" sein, andererseites aber auch gleichzeitig Werte produzieren, Holz liefern,  und darüberhinaus auch noch Erholungsort sein für Stille suchende Wanderer, Action liebende Mountainbiker, Jäger, Pilzsammler und viele andere Interessengruppen mehr.

Zunächst eine Bestandsaufnahme:
Warum sieht unser Wald so aus wie er aussieht? Wie "natürlich" ist unser Wald überhaupt?

Wie so oft sind die Zusammenhänge leichter zu verstehen, wenn man ihre Geschichte kennt:

Unser Wald - selbst wenn er noch Urwald wäre - ist im Vergleich zu Wäldern anderer Kontinente relativ "artenarm". Die Eiszeiten vor über 10.000 Jahren hatten einst einen Großteil des nördlichen Europas unter eine dicke Eisdecke gelegt. Unter dem Eis und ebenso zwischen Gletschern in arktischer Tundra konnten Bäume nicht mehr existieren. Mit milder werdendem Klima und schmelzenden Gletschern breitete sich die Vegetation von Süden her wieder aus. Die sich von West nach Ost erstreckenden Alpen waren allerdings im wahrsten Wortsinn eine hohe Hürde. Nicht alle überwanden dieses Hindernis auf ihrem Rückweg in den Norden. Besonders wärmeliebende Pflanzen haben es bisher einfach nicht  geschafft.

Und dann kam der Mensch ins Spiel! Er vermehrte sich und breitete sich aus. Und da Wald zunächst nur als "Kultur-Hindernis" wahrgenommen wurde, rodete man ihn kurzerhand, um Raum für Siedlungen und Ackerbau zu schaffen. Die einst - mit Ausnahme von Gebirgen und Mooren - flächigen und undurchdringlichen Urwälder nahmen ab. Der Wert des Waldes als Rohstofflieferant für Städte, zum Bau von Schiffen und als Heizmaterial wurde immer wichtiger. Mit einsetzender Industrialisierung wurden zusätzlich riesige Mengen an Holz als Energieträger für die Salzgewinnung, die Eisenerz-Herstellung oder die Heizung von Schlössern und der rasch wachsenden Städte benötigt. Braun- und Steinkohle, Öl und Gas kannte man ja noch nicht. In zahllosen Holzkohlenmeilern im Schwäbischen Wald wurde Holz transportfähig, weil leicht, gemacht oder es wurde von weither geflöst. Scheinbar unmerklich wurden die Wälder fast völlig vernichtet.  Der Zeitgenosse und Dichterfürst Goethe beschrieb auf einer Reise den heute wieder dicht bewaldeten Schönbuch damals als Ansammlung weniger Eichen - als nahezu waldlose Landschaft.

Fichtenforst
Fichtenforst

Da der Rohstoff aber nach wie vor dringend benötigt wurde, schlug die Geburtsstunde der geregelten Forstwirtschaft:

"Wer Bäume nutzt, soll Bäume pflanzen!" Die Idee der  Nachhaltigkeit war geboren!

Eckart Hink: "In einem beispiellosen Kraftakt wurde Deutschland über Jahrzehnte, ja Jahrhunderte wiederaufgeforstet:  Mangels vielfältigen Saatguts und ausgebildeten Personals und wegen seiner Raschwüchsigkeit und guten Verwertbarkeit eben mit Fichten und Kiefern". Heute kennen wir die Nachteile dieser "Monokulturen"; dennoch waren sie eine einzigartige Kulturtat, denn zunächst ist"Wald besser als kein Wald".


Begutachtung einer vom Tannenborkenkäfer befallenen Tanne
Begutachtung einer vom Tannenborkenkäfer befallenen Tanne

Lang war der Weg vom "Holzacker" zur strukturreichen Mischwald, da die Menschen Reinbestände über Generationen gewohnt waren. Borkenkäfer-Massenvermehrungen nach dem II. Weltkrieg und die verheerenden Orkane mit Millionen von Kubikmetern Sturmholz seit den 1990er Jahren haben zu einem Umdenken geführt. Die  an natürlichen Prozessen orientierte "Naturnahe Waldwirtschaft" wurde zum Programm.

Und hier streut der Forstdirektor a.D. einen ihm sehr wichtigen, aber konfliktträchtigen Gedanken ein: "Borkenkäfer sind im Kreislauf der Natur keine "Schädlinge", wie sie gerne bezeichnet werden. Sie sind ein Baustein der Natur und haben ihre Funktion." Wenn es einem Baum schlecht geht und er kränkelt, sendet er chemische Signale aus,  die Borkenkäfer anlocken. So wie im Beutekreislauf der Tiere die jeweils schwächsten Tiere vom Wolf oder Bär erlegt werden, werden die schwächsten Bäume von den Organismen heimgesucht, die ihrerseits wieder von deren Substanz leben. "Dazu muss man wissen, dass die Vielfalt der Natur in dieser Sterbephase am größten ist: Unzählige Tiere, Insekten und Pilze leben im und vom toten Holz." Was für den Waldbesitzer eine Holzentwertung ist, ist für das Ökosystem ein Segen.

 

Mancher ist überrascht, solche Worte aus dem Mund eines Försters zu hören, der eigentlich ja gesundes Holz aus dem Wald ernten möchte."Das mag ein Dilemma sein, aber in einer naturnahen Waldwirtschaft sind eben alle Ansprüche an den Wald, gerade auch natürliche Kreisläufe, zu berücksichtigen."

Natürliche Waldverjüngung
Natürliche Waldverjüngung

Das das ganz offensichtlich möglich ist, zeigten Waldbilder mit üppiger natürlicher Verjüngung. "Gesunder Wald wächst unter Wald und die nächste Generation ersetzt den geernteten oder abgestorbenen Baum nahtlos." Der Wechsel vom Reinbestand zum vielfältigen naturnahen Mischbestand ist jedoch nicht zufällig.  Ein wichtiger Faktor: "Ohne intensive Jagd und Anpassung der Jagdmethoden wäre der Wechsel zu vielfältigen Mischwäldern nicht möglich gewesen," weiß der Eckart Hink aus jahrzehntelanger Erfahrung. Grund: Nadelholzreinbestände sind arm an Bodenpflanzen. Deshalb wird dort jeder Tannen- oder Buchenkeimling zur Leckerei für das Rehwild.

Naturnaher Mischwald: Lebensraum für Pflanzen, Pilze und Tiere, zugleich Öko-Holzfabrik, Wasser- und Sauerstoffproduzent, Boden-und Klimaschützer und wunderbarer Erholungsort in einem.
Naturnaher Mischwald: Lebensraum für Pflanzen, Pilze und Tiere, zugleich Öko-Holzfabrik, Wasser- und Sauerstoffproduzent, Boden-und Klimaschützer und wunderbarer Erholungsort in einem.

Auch beim Thema Holznutzung räumt der Fachmann mit falsch verstandenem Naturschutz auf: 

Der Wald ist nicht nur Natur und Lebensraum, sondern auch eine Fabrik, und zwar die natürlichste Fabrik der Welt und dazu noch völlig schadstofffrei, denn aus Wasser, Kohlendioxid und Sonne wird Holz und Sauerstoff produziert. "Wer auf ökologischen Holzstühlen am ökologischen Holztisch im ökologischen Holzhaus sitzen möchte, der muss akzeptieren, dass dafür Bäume gefällt werden."

 

Thema Erholungswald: Der moderne Stadt-Mensch, der den Wald vor allem als geeigneten Ort sieht, dort seinen Sport oder Hobby auszuüben, hat beim Waldbesuch vielleicht nur dieses im Blickwinkel.  Der Waldfreund Hink unterstreicht das: "Erholung im Wald ist wunderschön, gesund für Körper, Geist und Seele!" Aber eben auch nur ein Anspruch unter vielen.

 

Und Stück für Stück fügen sich die Puzzleteile multifunktionaler, naturnaher Waldwirtschaft zu einem Ganzen: 

"Wichtig ist, zu verstehen, dass der Wald vor allem eines sein soll: Eine Symbiose - ein gedeihliches Miteinander zum Wohle aller auf ihn angewiesenen Lebewesen, und dazu gehört der Mensch!"

 

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