Auf dem Weg zu Murrhardts 1000jähriger Eiche

"Mit dem Förster im Wald": Dieter Seitz

Eine uralte Eiche stand als Höhepunkt am Ende des Waldspaziergangs* des Murrhardter Revierförsters Dieter Seitz. Auf dem Weg dorthin lernten die rund 30 Wald-Interessierten eine Menge über Waldgeschichte und aktuell brennende Fragen der Forstwirtschaft.

Revierförster Dieter Seitz: Begrüßung auf einer Streuobstwiese
Revierförster Dieter Seitz: Begrüßung auf einer Streuobstwiese

Dieter Seitz hat viel zu erzählen, verantwortet er doch das Forstrevier Murrhardt-Nord bereits seit 37 Jahren. In dieser Zeit gibt es viel zu lernen über den Wald, aber auch Gelegenheit zur Gestaltung eines vielfältigen Mischwalds.

Wer den Wald verstehen will, muss seine Geschichte kennen. Darum beginnt seine Zeitreise bereits vor 20.000 Jahren, als die Eiszeit noch voll im Gange waren, die Wälder sich in den Süden Europas zurückgezogen hatten und der Mensch nur eine Randnotiz der Geschichte war. Mit der damaligen Klimaerwärmung und dem Abschmelzen der Gletscher kehrten die Bäume langsam wieder zurück.

Waldgeschichte - oder Warum sich der Wald verändert(e)
Waldgeschichte - oder Warum sich der Wald verändert(e)

Pollenanalysen belegen, dass der Wald zu der Zeit, die am ehesten mit dem heutigen Klima vergleichbar war, vor allem aus Buchen, Tannen und Eichen bestanden hatte. Warum stehen dann Nadelbäume wie die Fichte an vorderer Stelle bei der heutigen Zusammensetzung, mag man sich fragen.

Hier kommt der Mensch ins Spiel, der mit der "Erfindung der Landwirtschaft" immer mehr Raum beanspruchte und auch immer mehr Rohstoffhunger hatte. Mit beginnender Industrialisierung wurden neben Baumaterial immer mehr Energie benötigt - aus Holz, denn Kohle, Öl und Gas spielten noch keine Rolle. Die Glasverhüttung (Bsp. Spiegelberg)  und die Salzgewinnung (Bsp.: Schwäbisch Hall) verbrauchten riesige Mengen, bis Holz knapp wurde. Dies war die Stunde der Erfindung der Nachhaltigkeit: Der Mensch begriff, dass er nur ernten konnte, wenn er die entnommenen Bäume auch wieder aufforstete. Und das ging am einfachsten und schnellsten durch Saat und Pflanzung der Fichte, die rasch wächst und eine hohe Holzausbeute versprach. "So sind nadelholzreiche Wälder, nicht selten Reinbestände entstanden, die uns heute Probleme bereiten, weil sie empfindlich gegen Sturm, Trockenheit und in Folge Borkenkäfer sind", weiß Seitz aus seiner langen Berufserfahrung.

Die Erderhitzung und ihre sichtbaren Folgen im Wald
Die Erderhitzung und ihre sichtbaren Folgen im Wald

Damit ist der Revierleiter automatisch bei einem Thema, das die Forstwirtschaft genauso beschäftigt wie die gesamte Gesellschaft, dem Klimawandel. Anhand sorgfältig ausgearbeiteter Schaubilder verdeutlicht er, wie "rasch" der menschengemachte Klimawandel sich auswirkt. "Die Erderhitzung steigt exponentiell!" unterstreicht er nachdrücklich. Klimaveränderungen, die in der Erdgeschichte tausende Jahre benötigt hätten, liefen augenblicklich in wenigen Jahren ab. "Für den Wald bedeutet das, dass extrem trockene Jahre sich seit den 1990er Jahren immer mehr häufen: Über die letzten Jahre fehlt uns die Menge Niederschlag eines gesamten Jahres."

Wie die Forstwirtschaft das Ziel stabiler, vielfältiger und naturnaher Mischwälder erreichen kann
Wie die Forstwirtschaft das Ziel stabiler, vielfältiger und naturnaher Mischwälder erreichen kann

An mehreren Beispielen auf dieser Waldwanderung zeigt Dieter Seitz, wie naturnahe Forstwirtschaft hier versucht gegenzusteuern: "Wir brauchen vielfältige Mischwälder, die sich selbst verjüngen."

Dabei sei besonders wichtig, dass der Boden vor Austrocknung so gut als möglich geschützt werde - durch Beschattung durch einen vielstufigen Waldaufbau, aber auch durch Belassen von Ästen und Reisig, was mancher Waldbesucher als "unaufgeräumt" empfinden könnte.

Auf einer ehemaligen Sturmfläche auf dem Linderst - und was man hier lernen kann.
Auf einer ehemaligen Sturmfläche auf dem Linderst - und was man hier lernen kann.

Am Beispiel einer Sturmfläche auf den Höhen des Murrhardter Hausberg Linderst zeigt er, wie auch die Forstwirtschaft beim ersten großen Orkan Wiebke 1990 vor bisher nie gekannte Probleme gestellt wurde - und wie man durch Beobachten ständig dazulernte. Im "Bürgerwald", einer von Murrhardter Bürgern aufgeforstete Sturmfläche, demonstriert er den Unterschied zu einer gänzlich naturbelassenen (Versuchs-) Fläche: Auch natürlich stellte sich ein geschlossener Wald aus Aspen und Kiefern ein, der aber in diesem Beispiel aus dem Blickwinkel der Holznutzung kaum brauchbar sei.

Jahrringzählung an einer Jahrhunderte alten Eiche
Jahrringzählung an einer Jahrhunderte alten Eiche

Nach rund drei Stunden sind die Waldwanderer am Zielpunkt angelangt - der ältesten Murrhardter Eiche:

Niemand wisse, wie alt diese Wald-Eminenz wirklich sei, so der Revierförster. Allerdings hat er eine Baumscheibe  einer in der Nähe gefällten, wesentlich weniger mächtigen Eiche aus drei Metern Stammhöhe mitgebracht: Hier hatte er sorgsam alle Jahresringe gezählt und jedes Jahrzehnt mit einer Stecknadel markiert. 470 Jahre. Wenn also diese Eiche bereits etwa 500 Jahre alt war, wie alt mag dann eine Rieseneiche mit geschätzt anderthalb Metern Durchmesser sein? Bis zum Beweis des Gegenteils wird - ohne Gegenstimme - festgelegt, dass man hier vor der 1000jährigen Murrhardter Eiche stehe - ein Alter, das bei der Eiche durchaus im Bereich des Möglichen liegt.

Die "Murrhardter Eiche": Die Römer kannte sie noch nicht, aber über's Murrhardter Mittelalter wüßte sie zu berichten!
Die "Murrhardter Eiche": Die Römer kannte sie noch nicht, aber über's Murrhardter Mittelalter wüßte sie zu berichten!
Tolle Stimmung: Am Ende einer kurzweiligen und lehrreichen Waldwanderung
Tolle Stimmung: Am Ende einer kurzweiligen und lehrreichen Waldwanderung


(* eine Veranstaltung der SDW Rems-Murr in Kooperation mit der Kreisforstverwaltung und der Volkshochschule Murrhardt)